Wir backen eine Geschichte
Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Kuchen backen. Sicherlich haben Sie ein paar Dinge im Kopf, die Sie dafür brauchen – Mehl, Zucker, eine Rührschüssel, im besten Falle Glasur und Schokostreusel für die Dekoration. Aber wie viel Mehl brauchen Sie denn jetzt noch einmal ganz genau? Sollten Sie die Glasur lieber im heißen Wasserbad oder in der Mikrowelle verflüssigen lassen? Fragen über Fragen, aber natürlich wissen Sie, wie eine Antwort auf diese bekommen: Ein Blick in ein Rezeptbuch genügt, und schon wissen Sie die exakten Mengenangaben und Arbeitsschritte, damit Ihrem perfekten Gebäck nichts mehr im Wege steht.
Dieser kleine Exkurs soll nicht nur Ihre Lust auf Naschereien wecken. Er hat auch etwas mit dem Erfinden von Geschichten zu tun – ob Sie das nun in Text- oder in Videoform machen, ist dabei vollkommen egal. Denn genauso wie es Rezepte für Kuchen gibt, gibt es auch Rezepte für Geschichten, die Ihnen das Backen Ihrer Story enorm erleichtern.
Die Masterplots nach Ronald D. Tobias
Eines der bekanntesten Geschichten-Rezeptbücher sind die 20 Masterplots des amerikanischen Schriftstellers und Drehbuchautoren Ronald D. Tobias, der in seinem Werk 20 grundlegende Plots versammelt, analysiert und mit zahlreichen Beispielen versieht. Diese Plots kommen immer wieder vor, sei es in antiken Mythen, sei es in mittelalterlicher Heldenepik, in Blockbuster-Filmen oder Videospielen, oder kurz gesagt: in nahezu allen narrativen Medien, die seit jeher existieren. Und tatsächlich kann man diese Geschichten-Rezepte nicht nur für die Belletristik nutzen, sondern auch im unternehmerischen Kontext, etwa beim Recruiting oder als Grundlage für Imagefilme.
Lassen Sie mich deshalb die 20 Masterplots aufführen, sie kurz erklären und Ihnen einen kurzen Gedankenimpuls geben, wie Sie sie für Ihr Unternehmen fruchtbar machen können:
Quest. Der Protagonist begibt sich auf eine Reise, um etwas zu erreichen oder zu finden. Stellen Sie beispielsweise die Karrierereise eines Mitarbeiters dar, der durch verschiedene Abteilungen geht, um seine passende Position innerhalb Ihres Unternehmens zu finden.
Adventure. Im Gegensatz zur Quest geht es hier nicht um das Erreichen eines Ziels. Vielmehr ist die Reise selbst das, was der Protagonist anstrebt – in etwa, indem er über ein spannendes Projekt berichtet, an dem er gerade arbeitet.
Pursuit. Verfolgungsjagden gefallen uns. Sie gehören zum Standardrepertoire eines jeden Actionfilms. Aber auch in Ihrem Imagefilm können Sie das Prinzip einer „Verfolgung“ an den Tag legen, wenn Sie z. B. Ihren Prozess erklären, wie genau und nach welchen Kriterien Sie neue Talente für Ihr Unternehmen rekrutieren.
Rescue. Gelingt eine Verfolgung nicht, muss der Protagonist manchmal von Dritten gerettet oder unterstützt werden. Das trifft auch auf Ihre Mitarbeiter zu. So könnte Ihr Imagefilm verdeutlichen, mit welchen Maßnahmen Sie diese unterstützen, sollten sie in unverschuldete private oder geschäftliche Schwierigkeiten geraten.
Escape. Manchmal rettet sich der Protagonist aber auch selbst aus seiner Gefangenschaft. Interviewen Sie eine Mitarbeiterin, die ihre ganz persönliche Geschichte darüber erzählt, wie sie entgegen allen Erwartungen erfolgreich ein Projekt geleitet hat.
Revenge. Ein vergangenes Unrecht soll vergolten werden. Natürlich befinden wir uns aber nicht mehr in einer unzivilisierten Steinzeitgesellschaft: Bleiben Sie über der Gürtellinie! Aber etwas allgemeine Kritik daran, welche Marktpraktiken in Ihrer Branche nicht so gut laufen und wie Ihr Unternehmen es besser macht als die Konkurrenz, schadet sicherlich nicht.
Riddle. Die Protagonistin muss ein Rätsel lösen oder ein Geheimnis aufdecken – beispielsweise Ihre Mitarbeiterin, die den bestmöglichen Workflow für ein neues Projekt in Ihrem Unternehmen planen muss.
Rivalry. Wir alle wissen, dass die freie Wirtschaft davon lebt, dass Firmen miteinander in Konkurrenz treten. Aber Sie können diesen Masterplot auch ganz simpel dadurch aufgreifen, indem sie den gesunden Wettstreit zweier Abteilungen zeigen, welcher zu höherer Kreativität und Produktivität führt.
Underdog. Menschen lieben Geschichten über Außenseiter, die sich hochgearbeitet haben. Nicht umsonst heißt es in jenem Sprichwort, dass man vom „Tellerwäscher zum Millionär“ werden kann. Vielleicht haben Sie ja einen Mitarbeiter, der eine ähnliche Geschichte hat und den sie in einem Video porträtieren können.
Temptation. Die Protagonistin wird mit einer moralischen Entscheidung konfrontiert, die ihre Integrität auf die Probe stellt. Erklären Sie in Ihrem Imagevideo z. B., welche ethischen Werte Ihr Unternehmen vertritt und selbst in schwierigen Zeiten hochhält.
Metamorphosis. Bereits der römische Dichter Ovid hat ein umfangreiches Werk über Verwandlungen aller Art geschrieben. Treten Sie in seine Fußstapfen und zeigen Sie etwa, wie sich Ihr Unternehmen von seinen Anfängen bis jetzt entwickelt und verändert hat.
Transformation. Ganz ähnlich zu Verwandlung – aber hier liegt der Fokus auf innere Veränderung. Skizzieren Sie also beispielsweise den individuellen Karrierepfad einer Mitarbeiterin und wie sie sich durch ihr Unternehmen verändert hat.
Maturation. Und noch eine Art der Metamorphose: Der Protagonist wächst emotional durch gemachte Erfahrungen. Ein Beispiel gefällig? Führen Sie ein Interview mit einem jungen Mitarbeiter, der durch Herausforderungen und Unterstützung zu einer wichtigen Position in Ihrer Firma gelangt ist.
Love. Liebe ist facettenreich. Es muss nicht immer nur romantische Liebe sein – nein, familiäre und freundschaftliche ist genauso stark. Machen Sie durch eine Fotoreihe deutlich, dass Ihre Unternehmenskultur gute zwischenmenschliche Beziehungen und ein freundliches Arbeitsumfeld fördert.
Forbidden Love. Romeo und Julia kennt jeder und jede von uns. Vielleicht haben Sie ja selbst eine Firma in Ihrem Umfeld, mit der Sie zunächst in einem Konkurrenzverhältnis standen, aber mit dem Sie nun eine partnerschaftliche Zusammenarbeit pflegen.
Sacrifice. Der Protagonist opfert etwas Wertvolles für ein größeres Gut. Zeigen Sie, wie Ihr Unternehmen gesellschaftliche Zwecke fördert, z. B. durch Sponsoring regionaler Veranstaltungen, Schulen oder Kulturangebote.
Discovery. Eine wichtige Wahrheit wird aufgedeckt. Stellen Sie in einer Interviewreihe Mitarbeitende vor, die durch die Arbeit bei Ihnen neue Stärken und Leidenschaften entdeckt haben.
Wretched Excess. Bisweilen tendieren Antihelden dazu, sich selbst durch übermäßigen Konsum in den Ruin zu treiben. Tun Sie das nicht: Schildern Sie den Beitrag Ihres Unternehmens für Nachhaltigkeit und eine Welt, die noch in Zukunft lebenswert ist.
Ascension. Die Protagonistin erreicht durch eigene Arbeit einen höheren Status und eine bessere Lebenssituation, beispielsweise eine Mitarbeiterin, deren verdiente Beförderung Sie in einem Social-Media-Beitrag öffentlich feiern können.
Descension. Ganz ehrlich: Wir alle machen Fehler – ich, Sie, Ihr Unternehmen. Irren ist menschlich. Deshalb schadet auch einmal ein kritisches Video über sich selbst nicht, in dem Sie zeigen, wie Ihre Firma aus vergangenen Fehlern gelernt hat.
Die Anwendungsbeispiele der Masterplots zeigen, dass sie sich hervorragend auch außerhalb von Kinoleinwand und Buchdeckeln machen.
Und wissen Sie, was das Schöne ist? Wie beim Kuchenbacken wird sich das Storytelling auf Dauer so verfestigen, dass Sie die Rezepte nicht einmal mehr brauchen, sondern anfangen, auf deren Grundlage eigene Kreationen zu schaffen. Das Rezeptbuch dient dann noch als verlässliche Inspiration, aber dringend brauchen Sie es nicht mehr. Seien Sie kreativ, experimentieren Sie herum – nutzen Sie die zwanzig Rezepte für Ihren Unternehmenskuchen, damit er Ihren Kundinnen und Kunden das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
Gönnen wir uns nun erst einmal eine Kaffee- und Gebäckpause. Beim nächsten Mal werde ich Ihnen sechs Möglichkeiten zeigen, mit welchen konkreten Handlungsstrukturen Sie – empirisch belegbar! – den meisten Erfolg bei Ihrer Kundschaft erreichen.
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Über den Autor
Dennis Pfefferkorn ist Lehrkraft für Deutsch und Latein an einem bayerischen Gymnasium. Zudem ist er als freischaffender Autor tätig. In seiner Bachelorarbeit legte er den Schwerpunkt auf Erzähltheorie und Storytelling.