Sprechakte entschlüsselt: Wie Sprache beeinflusst und überzeugt
- Dennis Pfefferkorn
- 20. März
- 4 Min. Lesezeit

Die Story vom müffelnden Zimmer
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Nach der Mittagspause kommt Ihre Kollegin in Ihr gemeinsames Büro zurück, wo Sie noch fleißig an irgendetwas gearbeitet haben. Eigentlich wollen Sie nur kurz den Kopf heben, um der Kollegin ein zerstreutes „Mahlzeit!“ zu signalisieren, aber was dann passiert, raubt Ihnen die Konzentration und lässt Ihre Kinnlade herunterklappen: Die Kollegin verzieht für einen Sekundenbruchteil ihr Gesicht und öffnet das Fenster. Entrüstet ringen Sie nach Worten. Ist das wirklich ihr Ernst? Es müffelt doch gar nicht so sehr, wie sie wieder tut. Schließlich haben Sie selbst ja hier gearbeitet; Sie würden doch merken, wenn es hier stinken würde. Was für eine Dreistigkeit! Und da loggt sich die Kollegin wieder an ihrem eigenen Rechner ein und nimmt eine Tablette zu sich, während sie auf den Anmeldeprozess wartet. „Ich habe heute so starke Kopfweh“, erklärt sie, „ich hoffe, dass mir die frische Luft und diese Tablette hilft …“
An dieser kleinen Geschichte sehen wir, dass sprachliche Signale – egal ob sie mündlich geäußert oder non-verbal gesendet werden – über die reine Sache, um die es eigentlich geht, hinaus gehen. Immer schwingt etwas Unausgesprochenes mit, das im besten Fall alle Gesprächsteilnehmer verstehen, aber eben auch leicht zu Missverständnissen führen kann. Genau hier steckt aber das Potenzial, denn genau so, wie man sich in der Videografie die Grundlagen des Storytellings zunutze machen kann, ist auch die bewusste und reflektierte Nutzung von Erkenntnissen der Sprachwissenschaft bestens dafür geeignet, die eigene Botschaft noch gezielter ans Publikum zu bringen.
Sprechakte – was ist das eigentlich?
Bereits zu Beginn der 20. Jahrhunderts hatten z. B. Karl Bühler oder Friedemann Schulz von Thun festgestellt, dass Sprache ein komplexes System mit verschiedenen Ebenen ist: Es gibt immer einen Sender und einen Empfänger sowie die konkrete sprachliche Äußerung. Wenn nun der Sender etwas sagt, muss dies vom Empfänger erst einmal auf den genannten verschiedenen Ebenen aufgenommen und interpretiert werden.
Die Philosophen John L. Austin und John Searle stellten dann später die sogenannte Sprechakttheorie auf. Austin hält in seinem 1962 erschienenen Werk How to Do Things with Words (dt. Zur Theorie der Sprechakte) fest, dass wir, wenn wir sprechen, nicht nur eine reine Information vermitteln möchten, sondern immer gleichzeitig einen „Akt“ vollziehen, also eine konkrete Handlung, die unausgesprochen mitschwingt, aber bei einer sprachlichen Äußerung – dem sogenannten „Sprechakt“ immer vorkommen.
Searle entwickelte diesen Ansatz weiter und unterschied drei Ebenen des Sprechakts:
Lokutionärer Akt – die reine Aussage; quasi das, was ausgesprochen wird; die konkreten Laute, die Buchstaben, ein Blick, eine Geste usw.
Illokutionärer Akt – die Absicht hinter dem Gesagten.
Perlokutionärer Akt – die Wirkung, die das Gesagte auf eine andere Person hat.
Ein kleines Beispiel gefällig, um diese graue Theorie ganz einfach zu veranschaulichen? Die Kollegin von vorher kommt am nächsten Tag zu spät zu einem Meeting. Die Chefin weist sie darauf hin, bitte pünktlicher zu sein. Daraufhin erwidert die Kollegin: „Ich verspreche, morgen rechtzeitig hier zu sein.“
Hier wird nicht nur eine simple Information – der lokutionäre Akt – vermittelt, dass die Kollegin auf ihre Pünktlichkeit achten wird. Vielmehr zeigt das kleine Wörtchen „versprechen“ an, dass sie sich um ein aktives Handeln, einen konkreten Akt, bemühen möchte. Sie verfolgt dabei eine Absicht und muss sich, zumindest unbewusst, auch darüber im Klaren sein, dass diese Aussage eine Wirkung auf die Chefin hat, z. B. dass diese sich beschwichtigt fühlt.
Sprechakte im Recruiting und im Marketing
Neben dem Versprechen gibt es natürlich weitere zahlreiche Sprechakte – informieren, überzeugen, beschreiben, erzählen, kritisieren, bewerten, appellieren und viele weitere. Ist man sich erst einmal bewusst, dass all diese scheinbar kleinen Wörter eine so große Macht auf das Publikum haben können, ist es nun unsere Aufgabe, sie kreativ für unsere Videos zu nutzen. Denn wie wir wissen, geht es im Recruiting längst nicht mehr nur um das einfache Posten von Stellenanzeigen. Im Gegenteil, Unternehmen nutzen Videos mittlerweile, um ihre Kultur erlebbar zu machen und potenzielle Bewerber emotional abzuholen. Ein überzeugendes Recruiting-Video wird daher meist eine Kombination aus informierenden und überzeugenden Sprechakten enthalten. Hier seien nur ein paar Beispiele genannt:
Illokutionäre Akte als Einladung: Wenn ein Unternehmen im Video sagt: „Werde Teil unseres innovativen Teams“, steckt darin mehr als eine bloße Beschreibung. Es ist eine Einladung, fast schon eine sanfte Aufforderung, sich zu bewerben. Vergleichen Sie nur einmal, wie die Alternative wirkt: „Senden Sie Ihre Unterlagen an …“. Natürlich ist die erste Aussage überzeugender und wird wohl mehr Bewerber*innen anlocken.
Emotionale Perlokution: Aussagen wie „Bei uns kannst du deine Ideen wirklich einbringen“ zielen darauf ab, ein Gefühl von Wertschätzung und Selbstwirksamkeit beim Zuschauer auszulösen.
Performative Elemente: Ein CEO, der im Video „Ich verspreche, dass wir deine berufliche Entwicklung fördern“ sagt, nutzt den Sprechakt des Versprechens bewusst, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen.
Aber auch im Marketing sind Sprechakte allgegenwärtig – und wirken oft subtiler, als man denkt. Bei Werbeslogans wie „Just do it“ oder „Ich liebe es“ steht der reine Inhalt im Hintergrund. Vielmehr geht es um die bewusste Inszenierung einer Lebensweise, einer Haltung, die die Konsumenten mit dem Sprechakt des Appellierens oder der Beschreibung emotional aktivieren soll.
Warum Sprechakte den Unterschied machen
Sie sehen also, dass es sich lohnt, zweimal darüber nachzudenken, wie man Aussagen formuliert. Sprechakte sind mehr als bloße Worte – sie sind Handlungen, die, richtig eingesetzt, das Potenzial von Videos im Recruiting und Marketing erheblich steigern. Unternehmen, die ihre Sprache bewusst gestalten, können nicht nur Informationen übermitteln, sondern ihre Zuschauer aktivieren, berühren und überzeugen. Bestimmte Worte erzeugen bestimmte Gefühle – reflektieren Sie, welche Wirkung Sie erzeugen möchten, um Ihr Publikum dazu zu motivieren, sich bei Ihnen zu bewerben oder Sie von Ihrer Marke zu überzeugen.
Gerade in Zeiten digitaler Reizüberflutung macht das den entscheidenden Unterschied. Vielleicht lohnt es sich also, bei der nächsten Videokampagne nicht nur über Bildsprache und Storytelling nachzudenken – sondern auch darüber, welche Handlung die Sprache im Kopf und Herzen des Publikums auslösen soll. Ein konkretes Werkzeug, das dafür grandios geeignet ist, soll im nächsten Beitrag von mir vorgestellt werden: das Framing.
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Über den Autor

Dennis Pfefferkorn ist Lehrkraft für Deutsch und Latein an einem bayerischen Gymnasium. Zudem ist er als freischaffender Autor tätig. In seiner Bachelorarbeit legte er den Schwerpunkt auf Erzähltheorie und Storytelling.